Mythos Deckungsstock der klassischen Lebensversicherung

Mythos Deckungstock Lebensversicherung

Das Kernstück der Veranlagung in der klassischen Lebensversicherung ist der sogenannte Deckungsstock. Noch immer fest in den Köpfen verankert ist, dass hier gar nichts passieren kann. Die Gelder sind sicher. Kürzlich konnte man in einem Artikel sogar lesen, dass man sein Geld eher der Versicherung anvertrauen soll, als einer Bank.

Begriffe wie Deckungsstockverordnung, Garantieverzinsung, Sondervermögen usw. geistern herum und suggerieren natürlich absolute Sicherheit.

Wir schauen nun wieder hinter die Begriffe und Kulissen, entscheiden Sie am Ende selbst, ob Sie Ihr Geld in diese Form von Veranlagung investieren wollen oder nicht.

Der Begriff der Deckungsstockverordnung

Die Deckungsstockverordnung ist aus dem Jahre 1994 und im § 79 des Versicherungsaufsichtsgesetzes (kurz VAG) geregelt. In dieser Verordnung steht nichts über den Inhalt des Deckungsstocks, sondern lediglich wie die Buchführung zu halten ist und wie Meldung über die Zusammensetzung des Deckungsstocks gemacht werden muss.

Aussagekräftiger ist da schon der § 300 VAG, in dem steht, dass die Versicherungsunternehmen einen Deckungsstock in der Höhe der Verpflichtungen zu bilden haben. Dies betrifft übrigens nicht nur die Lebensversicherung, sondern auch die Krankenversicherung und andere Risikosparten. Auch diese Sparten leiden unter den niedrigen Zinsen – und werden in Kürze wohl teurer werden.

Wichtiger Punkt dabei: das Vermögen des Deckungsstocks ist gesondert zu verwalten.

Aber wie ist dieser Deckungsstock nun anzulegen, hier ein Auszug aus dem Gesetzestext (§ 124 Absatz 1 VAG), der ein wenig schwammig formuliert ist.

Unter Ziffer 1 findet sich die nachfolgende Bestimmung:

„Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen haben ihre gesamten Vermögenswerte gemäß den folgenden Grundsätzen anzulegen: In Bezug auf das gesamte Vermögensportfolio dürfen Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen lediglich in Vermögenswerte und Instrumente investieren, deren Risiken sie angemessen erkennen, messen, überwachen, managen, steuern können, über deren Risiken sie angemessen berichten können und deren Risiken sie bei der Beurteilung des Gesamtsolvabilitätsbedarfs gemäß § 111 Abs. 1 Z 1 angemessen berücksichtigen können.“

Wichtig auch dieser Part unter der Ziffer 7 des § 124 (1) VAG:

„Die Vermögenswerte sind in angemessener Weise so zu mischen und zu streuen, dass eine übermäßige Abhängigkeit von

  1. einem bestimmten Vermögenswert,
  2. in und demselben Emittenten oder von Emittenten, die derselben Unternehmensgruppe angehören oder einer bestimmten Unternehmensgruppe oder
  3. einer geografischen Region vermieden wird und insgesamt eine übermäßige Risikokonzentration im Portfolio vermieden wird.“

Auch haben wir nirgendwo gefunden, was genau an Wertpapieren drin sein darf. Nur in der Verordnung der FMA für Versicherungsunternehmen über qualitative Vorgaben für Kapitalanlagen von Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen (VU-KAV) findet sich eine Passage (§ 8 Ziffer 4 VU-KAV) über die Beurteilung des Kreditrisikos, ebenfalls eher schwammig formuliert:

„Die für die Kreditrisikobeurteilung gemäß Z 1 verwendeten Informationen sind aus verlässlichen Quellen zu beziehen und haben im Hinblick auf den Umfang und die Aktualität eine ausreichende Anzahl von Datenpunkten zu berücksichtigen, die eine ganzheitliche Betrachtungsweise des Kreditrisikos über mehrere Zeitperioden ermöglichen.“

Wie sieht die Umsetzung dieser Vorgabe in der Realität aus?

Am Beispiel Niederösterreichische Versicherung haben wir folgendes herausgefunden (Quelle Website https://www.nv.at/service/services-zur-lebensversicherung/zusammensetzung-deckungsstock):

67% Anleihen

20% Immobilien

11,5% Aktien

1,5% Sonstiges, Cash

Risiken des Deckungsstocks

Wir wollen uns nun näher dem Anleihen Portfolio widmen.

In der praktischen Umsetzung werden es wohl häufig Staatsanleihen der Euro Länder sein. Die österreichischen Versicherungen werden hauptsächlich in österreichischen Anleihen investiert sein. Wenn man jetzt weiß, dass eine 10 jährige Staatsanleihe knapp negativ verzinst wird, also aus dem Deckungsstock Zinsen an den Staat bezahlt werden, ist daraus jedenfalls keine Performance zu erwarten. Als einer der wenigen Staaten begab Österreich auch eine Anleihe mit einer Laufzeit von 100 Jahren und mit dem sagenhaften Zinssatz von 0,85 % pro Jahr.

Hier lauern gleich 2 wesentliche, aber äußerst bedrohliche Risiken:

  • Das noch weniger unangenehme Risiko: Die Zinsen steigen, dann wird die bestehende schlecht verzinste Anleihe auf Grund ihrer Restlaufzeit ordentlich an Wert verlieren. Ein Zinsanstieg um 1% Punkt würde den Kurs um ca. 50 % fallen lassen.
  • Das unangenehme Risiko: Der österreichische Staat kann seinen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen bzw. nur einen Teil der Schulden bezahlen, dann sind schnell einmal 50 % oder mehr einfach verloren. Wenn Sie 100 Jahre zurückblicken, dann erkennen Sie selbst das Risiko eines Ausfalls.

Das Risiko des Ausfalls mag jetzt nur sehr hypothetisch klingen, wir leben seit Jahrzehnten im Wohlstand und hören höchstens von Ländern wie Venezuela oder Argentinien, die ihre Schulden nicht mehr bezahlen können. Argentinien nannte man übrigens einmal die Schweiz Südamerikas…

Neben Staatsanleihen der besten Kategorie (Rating A bis AAA) sind auch noch Staatsanleihen unterer Kategorien (A- bis BBB) oder auch Unternehmensanleihen im Deckungsstock.

Aus dem Geschäftsbericht der ERGO Austria geht hervor, dass rund 25% des verwalteten Vermögens mit Ratings A Minus bis BBB Minus versehen sind.

Da waren wir selbst überrascht, 24% ist doch ein erheblich großer Anteil – im Geschäftsbericht steht es aber schwarz auf weiß.

Das können dann schon Unternehmen der Pharmaindustrie sein oder auch der Autobranche. In einer allgemeinen Wirtschaftskrise ist es dann schon vorstellbar, dass es hier zu Kreditausfällen kommt. Würden Sie für Ihre Altersvorsorge Anleihen von z.B. BMW oder Pfizer kaufen?

Im Deckungsstock der Versicherungen sind diese jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit enthalten.

Damit erkennen Sie auch schon ein weiteres Problem des Deckungsstockes. Als Anleger müssen Sie schon sehr tief graben, um herauszufinden, was genau denn in Ihrer Lebensversicherung enthalten ist.

Dass die Versicherungen das Risiko ausweiten, liegt ja auch in der Natur der Sache. Wie oben erwähnt, gibt es aktuell auf mittelfristige Staatsanleihen Negativzinsen. Auch wenn die Versicherungen keine Zinsen mehr garantieren, ist es schwierig genug, zumindest das Kapital der Anleger zu erhalten (siehe auch weiter unten Kosten der Versicherung).

Das Risiko eines Kapitalverlusts in der Lebensversicherung ist also nicht unerheblich. Einerseits wird das Veranlagungsuniversum auf verzinsliche Wertpapiere stark eingeschränkt. Diese Wertpapiere leiden aktuell darunter, dass die Zinsen absolut niedrig sind. Andererseits kann bei weitem nicht das Ausfallsrisiko gedeckt werden.

Durch das unnatürlich niedrige Zinsniveau werden jetzt Firmen (und womöglich auch Staaten) am Leben erhalten, die in normalen Zeiten schon längst in Konkurs gegangen wären (Staaten gehen natürlich nicht in Konkurs, da zahlen die Bürger mit ihren Ersparnissen die Schulden zurück).

Konnte man früher durchaus sagen, die Lebensversicherung bietet risikolose Zinserträge so hat sich das jetzt gedreht und die Lebensversicherung bietet nur mehr zinsloses Risiko.

Der verhängnisvolle § 316 VAG

Natürlich, hauptsächlich wird argumentiert, der Deckungsstock ist Sondervermögen und im Falle des Konkurses einer Versicherung geschützt und gehört unwiderruflich den Anlegern. Ja das stimmt auch, aber es gehört nur Ihnen, was auch wirklich drinnen ist.

Diese Problematik ist auch dem Gesetzgeber nicht fremd, deshalb gibt es auch ein Gesetz (Par. 316, VAG), welches im Wesentlichem besagt, dass, wenn die Versicherung in Schieflage gerät, die Auszahlung gekürzt oder gar gestoppt werden kann. So etwas kennen wir aus dem Insolvenzrecht, wo Gläubigern Quoten zugeteilt werden. Das ist auch ganz logisch: Wenn der Topf (=Deckungsstock) nur mehr halb voll ist, dann bekommt jeder nur mehr die Hälfte. Da wird keiner bevorzugt.

Warum wohl gibt es dieses Gesetz? Weil eben der gerade beschriebene Fall eintreten kann! Wenn so eine Situation eintritt und Sie kurz vor Pensionsantritt sind, dann haben sie keine Chance mehr entgegenzusteuern, Ihre Lebensersparnisse sind dann möglicherweise verloren.

Kosten der Versicherung

Abschließend noch ein paar Worte zu den Kosten in den Versicherungen. Wichtig ist auch hier zu erwähnen: Die Kostenstrukturen von Versicherungen sind gewachsen. Konnten diese Kosten früher durch das Zinsniveau gut verdient werden, ist dies jetzt absolut nicht mehr möglich. Auch hier geben Geschäftsberichte von Versicherungsgesellschaften Auskunft darüber, was denn so an Kosten anfällt.

Ja, so ein Geschäftsbericht ist langweilig und kaum ein Versicherungsnehmer wirft jemals einen Blick hinein.

Wir haben hineingeschaut, der Bericht der ERGO Versicherung eröffnet Folgendes: Im Jahre 2019 gab es Prämieneinnahmen von 535 Millionen Euro (davon entfallen auf die Sparte Leben ca. 440 Mio Euro ).

Die Vertriebskosten werden mit 72,1 Millionen beziffert, also 13,47 % der Einnahmen, gehen an Vertriebskosten weg. Verwaltungskosten sind noch eine eigene Position!

Diese Kosten müssen erst einmal verdient werden, damit dem Anleger am Ende etwas an Ertrag übrig bleibt.

Was bleibt also übrig an Argumenten, dass man zur Altersvorsorge sein Geld sicher in Versicherungen anlegen kann?

Der Ertrag wird es wohl nicht sein, aber sehr oft wird damit argumentiert, dass die Versicherung die einzige Möglichkeit bietet, das sogenannte „Langlebigkeitsrisiko“ zu decken.

Soll heißen, wenn Sie statt der prognostizierten 76 Jahre über 100 Jahre alt werden, dann muss die Gesellschaft Ihnen eine Rente bis zum Ableben zahlen.

Das stimmt, aber das bedingt, dass einerseits die Versicherung auch genug Kapital im Deckungsstock hat, sonst greift der Par. 316 VAG und sie bekommen keine Leistung mehr und andererseits, was hilft Ihnen eine Rente, wenn die Kaufkraft durch die Inflation dahinschmilzt (siehe Blog „Die Lebensversicherung als Wertanlage und Vorsorge“).

Fallen Ihnen sonst Argumente ein, die für eine Veranlagung in die Lebensversicherung sprechen? Diskutieren Sie mit uns, schreiben Sie uns Ihre Meinung unter hilfe@diegeldretter.at

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